Die Kapitalmärkte starten mit widersprüchlichen Signalen in das vierte Quartal des Jahres. Während in den Vereinigten Staaten eine abkühlende Konjunktur die Hoffnung auf weitere Zinssenkungen der Federal Reserve nährt, droht Europa in politische Turbulenzen abzugleiten, konstatiert Jakob Frauenschuh, Investment Strategy – Leiter Aktien bei der Schoellerbank.
Frankreich erlebt eine Fortsetzung der seit 2024 anhaltenden politischen Krise: Der Rücktritt von Premierminister Bayrou, der mit seinen Reformmaßnahmen gescheitert ist, schwächt das Vertrauen der Finanzmärkte. Die Ratingagentur Fitch hat das Frankreich-Rating auf Single-A gesenkt. Andere Ratingagenturen überprüfen ebenfalls die Bonitätseinschätzung – weitere Herabstufungen könnten die Finanzierungskosten zusätzlich erhöhen und die Anleihenmärkte belasten.
POLITISCHE SPANNUNGEN
Die Ereignisse in Paris sind ein Warnsignal für die politischen Risiken, die Europas Kapitalmärkte begleiten. Der Zeitpunkt ist ungünstig: Exportorientierte Unternehmen kämpfen bereits mit den Belastungen aus Washingtons Zollpolitik und dem starken Euro. Fiskalische Impulse in Deutschland und anderen Staaten wirken bislang kaum, während strukturelle Schwächen wie geringe Produktivität und niedrige Investitionen bestehen bleiben.
Das bisherige Börsenjahr illustriert die Divergenz deutlich. Der STOXX Europe 600 liegt rund 11 Prozent vor dem S&P 500 – jeweils in Euro gemessen. Europäische Treiber sind Banken und Industrieunternehmen, die von niedrigeren Bewertungen und der Erwartung fiskalischer Unterstützung profitierten. Allerdings ist dieser Vergleich nur durch den schwachen US-Dollar zustande gekommen. In der lokalen Währung gerechnet – also der S&P 500 in US-Dollar und der STOXX Europe 600 in Euro – liegt der US-Markt mittlerweile 1,7 Prozent vor dem europäischen Markt (alle Angaben Stand 25. September 2025).
Mittelfristig scheinen die besseren Chancen in den USA zu liegen. Der Grund: Europas jüngste Kursgewinne beruhen stärker auf Bewertungsausweitungen, weniger auf steigenden Gewinnen. Das Gewinnwachstum ist schwach, die 12-Monats-Schätzungen haben seit Monaten eher den Rückwärtsgang eingelegt. In den USA hingegen schlagen solide Fundamentaldaten zu Buche. Für 2025 wird ein reales BIP-Wachstum von 1,5 Prozent erwartet, gegenüber nur rund ein Prozent in der Eurozone. Für 2026 dürfte die Lücke noch größer werden: 82 Prozent der S&P-500-Unternehmen übertreffen ihre Gewinnschätzungen – ein deutlicher Gegensatz zu Europas exportabhängiger Industrie, die unter den Zöllen der US-Regierung leidet.
ROLLE DER TECHNOLOGIE
Die Stärke der USA speist sich nicht zuletzt aus massiven Investitionen in Forschung und Entwicklung. Eine im Juni veröffentlichte Studie von Ernst & Young1 zeigt: Während die 128 größten europäischen Unternehmen 2024 rund 231 Milliarden Euro in Innovationen investierten, gaben die 135 führenden US-Konzerne mit über 524 Milliarden Euro dafür mehr als das Doppelte aus. Große US-Technologie-Unternehmen wie Amazon und Alphabet führten die Liste der Top-Investoren an.
Das Risiko einer zu hohen Marktkonzentration im Technologiesektor ist nicht zu leugnen, zumal chinesische Anbieter wie DeepSeek zunehmend konkurrenzfähig werden. Doch die strukturelle Überlegenheit der US-Konzerne, gepaart mit einem dynamischeren Binnenmarkt, verschafft den USA einen deutlichen Vorsprung.
FED UND VERTRAUEN
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt jedoch die vermeintlich schwindende Unabhängigkeit der Federal Reserve (Fed). Das Vertrauen der Amerikaner:innen in ihre Zentralbank ist auf historische Tiefstände gefallen. Die versuchten Einflussnahmen von US-Präsident Donald Trump verstärken die Skepsis, dass die Notenbank zunehmend zur politischen Arena wird. Sollte die Fed tatsächlich ihre Unabhängigkeit verlieren, droht ein Szenario mit steigenden Renditen, schwächerem US-Dollar und steigenden Inflationserwartungen – vergleichbar mit den Dynamiken in Schwellenländern.
Für Europa wäre dies ein zweischneidiges Schwert: Einerseits würde ein stärkerer Euro Exporte zusätzlich belasten, andererseits könnten steigende Sorgen um den Greenback die politischen und fiskalischen Themen Europas in den Hintergrund treten lassen.
CHANCEN FÜR ANLEGER
Trotz dieser Unsicherheiten bietet das Marktumfeld Chancen. Die Historie zeigt: Wenn sich der US-Aktienmarkt gut entwickelt, sind auch die Vorzeichen für Europa positiv. Europäische Aktien sind im historischen Vergleich nach wie vor günstig bewertet. Banken, Maschinenbau und Chemieunternehmen profitieren von stabiler Nachfrage und steigenden Margen.
Auch in Japan und insbesondere in den Schwellenmärkten sehen wir in diesem Jahr eine robuste Aktienmarktentwicklung. Der breite MSCI Emerging Markets Index liegt seit Jahresbeginn rund 12,9 Prozent im Plus und der MSCI Japan ist 6,5 Prozent gestiegen – jeweils per
25. September 2025 in Euro gemessen. Getragen wird die Rallye von einem schwächeren US-Dollar, attraktiven Bewertungen, steigenden Gewinnerwartungen und strukturellen Reformen in Schlüsselmärkten wie Japan, Indien und Korea.
In den USA bleibt der Technologiesektor treibende Kraft. KI-Investitionen und hohe Produktivität stützen die Gewinne, auch wenn das Wachstumstempo abnimmt. Einzig der schwache US-Dollar ist ein Wehrmutstropfen, welcher die Anleger:innen aber nicht von Investitionen in US-Aktien abhalten sollte.
Das vierte Quartal 2025 ist geprägt von Gegensätzen: politische Unsicherheit in Europa und fiskalische Leichtfertigkeit in den USA; schwaches Gewinnwachstum auf dem Alten Kontinent, strukturell hohe Dynamik jenseits des Atlantiks. Für Anleger:innen bedeutet das: selektives Vorgehen bleibt entscheidend. Europäische Aktien bieten Substanz, die US-Märkte Wachstum, Asien und andere Regionen profitieren von der Schwäche des US-Dollars und einer eigenen wirtschaftlichen Dynamik.
Der US-Dollar ist ein zweischneidiges Schwert. Für Euro-Anleger war die US-Dollar-Schwäche dieses Jahr ein Problem, die die durchaus gute Entwicklung von US-Aktien verzehrte. Allerdings ist ein schwacher US-Dollar auch kein Nachteil für die exportstarken US-Technologieaktien. Für Investoren könnten US-Aktien eine interessante Wahl sein, doch sie sollten das US-Dollar-Risiko zumindest teilweise absichern – was wir in der Schoellerbank Vermögensverwaltung umgesetzt haben.
Die Schoellerbank Vermögensverwaltung setzt in diesem Umfeld auf Ausgewogenheit: verkürzte Laufzeiten im Rentenportfolio, selektive Aktienallokationen mit Fokus auf solide Geschäftsmodelle, gezielte Beimischung von US-Technologiewerten und ein aktives Währungsmanagement. In einem volatilen Umfeld bleibt Diversifikation der Schlüssel, um Chancen zu nutzen und Risiken zu managen.
1 https://www.ey.com/de_at/newsroom/2025/06/top-500-unternehmen-forschung-entwicklung-2025