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Die Bären sind zurück

September 2022
Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers, rät bis Jahresende zu einem defensiven Portfoliomanagement. Bei US-Staatsanleihen sieht Iggo derzeit interessante Chancen.
AXA IM
Chris Iggo, AXA IM

Angesichts der nicht enden wollenden Flut schlechter Nachrichten ist ein defensives Portfoliomanagement bis zum Ende dieses Jahres sicher empfehlenswert, betont Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers. Die Inflation bleibt weiter hoch, die Idee, die US-Notenbank (Fed) könnte sich von einer restriktiveren Geldpolitik abwenden, ist aus der Luft gegriffen, der Krieg in der Ukraine dauert an und die Energiekrise macht Haushalte und Unternehmen gleichermaßen ärmer. Nachdem wir den Höchststand der Anleiherenditen im Juni ausgerufen hatten, sind wir nun offen für die Ansicht, dass die Renditen dieses Niveau doch wieder übersteigen könnten. In Großbritannien ist dies bereits geschehen: Die Rendite zehnjähriger britischer Staatsanleihen liegt bei 2,9 Prozent gegenüber 2,74 Prozent im Juni. Sowohl die Fed als auch die Europäische Zentralbank (EZB) werden auf ihren Sitzungen am 21. September bzw. 8. September die Zinsen wohl um weitere 75 Basispunkte (BP) anheben.

Erneuter Test der Juni-Tiefstände am Aktienmarkt?

Für die Aktienmärkte sind höhere Anleiherenditen nicht gut. Der Anstieg der realen Renditen im zweiten Quartal trug zur negativen Entwicklung der Aktienmärkte bei. Growth schnitt deutlich schlechter ab als Value. Die reale Rendite für zehnjährige US-Papiere – gemessen an der Rendite inflationsgeschützter Staatsanleihen (TIPS) – stieg von sieben BP Ende Juli auf 71 BP zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Kommentars. Der Growth-Index des S&P 500 hat sich im gleichen Zeitraum schlechter entwickelt als die Value-Variante. Höhere Renditen sind zusammen mit einem makroökonomischen Umfeld, das auf niedrigere Erträge hindeutet, eine sehr negative Kombination für die Aktienmärkte. Es könnte zu einem erneuten Test der Tiefststände vom Juni 2022 an den US- und anderen Aktienmärkten kommen.

Energie, Inflation, Zinsen und Wachstum

Der Ausblick ist unklar. In den USA ist der Arbeitsmarkt weiter stark, wobei die jüngste JOLTS-Umfrage in den USA auf über 11,2 Millionen offene Stellen hindeutet – mehr als doppelt so viel wie die Zahl der registrierten Arbeitslosen. Die jüngsten Berichte zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) wiesen ein negatives Wachstum auf. Die Fed ist dennoch nach wie vor entschlossen, die Zinsen bis zum Einbruch des Arbeitsmarktes zu erhöhen, um zu verhindern, dass das Lohnwachstum die Inflation anheizt. Zugleich belastet die höhere Inflation die Realeinkommen in den meisten Volkswirtschaften. Die europäischen Länder stehen vor einer möglichen Energierationierung im Winter. Die Regierungen versuchen, die Energiekrise rasch zu lösen. Letztlich ist es aber eine politische Entscheidung, wer dafür zahlt – die Verbraucher, die Steuerzahler oder die Energieunternehmen. Das grundlegende Problem bleibt, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine das globale Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage an den Gasmärkten gestört hat. Solange dies nicht behoben ist, stehen die Aussichten für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der Welt sehr schlecht.

Irgendeine Erleichterung?

Was könnte ohne ein Ende des Krieges die Abwärtsrisiken begrenzen? Wichtig ist es, die Energieversorgung wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Der steigende Füllstand der Gasspeicher in Deutschland in den vergangenen Monaten ist eine positive Entwicklung, denn die Daten von Bloomberg deuten darauf hin, dass die Speicher zu 84 Prozent gefüllt sind, was über dem Vorjahresniveau liegt. Überall bemühen sich die Regierungen, die Abhängigkeit von Russland zu verringern. So werden – wo dies möglich ist – eine Erhöhung der Stromproduktion aus Kernenergie mehr Flüssiggas-Importe und Bemühungen um eine verstärkte Gewinnung aus Energiequellen, einschließlich Öl und Gas auf dem britischen Kontinentalschelf in Betracht gezogen oder sind schon zu beobachten. Die Nachfrage muss möglicherweise durch die Verbesserung der Effizienz, die Verringerung des Energieverbrauchs für nicht lebensnotwendige Aktivitäten und möglicherweise durch eine gewisse Rationierung eingeschränkt werden.

Es wird auch zu einem Nachfragerückgang kommen, da Haushalte und Firmen ihren Energieverbrauch gezielt reduzieren. Vielleicht ist der Rückgang der europäischen Gasgroßhandelspreise in dieser Woche ein Zeichen dafür, dass sich einige dieser Faktoren bereits auf Angebot und Nachfrage auswirken. Die Preise für Lieferungen in einem Monat am niederländischen Handelsplatz sind in der vergangenen Woche um 25 Prozent gesunken (aber immer noch 50 Prozent höher als vor zwei Monaten).

Wann kommt der Wendepunkt?

Es wäre keine Überraschung, wenn auf den globalen Energieschock, der durch den Krieg auf europäischem Boden ausgelöst wurde, eine weltweite Rezession folgt. Das macht es schwer, sich mit viel höheren Zinsen abzufinden. Es wurde schon oft gesagt: Die Zentralbanken können die Energiepreise nicht direkt beeinflussen. Sie können es indirekt, indem sie die Nachfrage reduzieren, aber es ist wahrscheinlich, dass ihre Maßnahmen die bereits stattfindende Nachfragereduktion noch verschlimmern. Irgendwann wird es zu einem Umschwenken kommen, aber die Fed muss niedrigere Inflationsraten und eine Abschwächung des Trends am Arbeitsmarkt sehen und die EZB, die die Zinsen zu lange zu niedrig gehalten hat, muss sich sicher sein, dass sie ein angemessenes Zinsniveau erreicht hat, mit dem sie die Inflation kontrollieren kann. Wir vermuten, dass eine Umkehr der Markterwartungen rasch passieren könnte – die Inversion der Renditekurve bei US-Staatsanleihen ist ein deutlicher Hinweis in diese Richtung.

Interessante US-Treasuries

Inzwischen werden die US-Leitzinsen bei nahe vier Prozent erwartet. Werden die Zinsen um weitere 150 BP angehoben, wäre dies, soweit es das Ausmaß der Zinsschritte betrifft, der aggressivste Zinserhöhungszyklus seit Jahrzehnten. Es ist eher das Delta als das Niveau, das entscheidend ist. Jede zusätzliche Zinserhöhung um einen Prozentpunkt hat die gleiche Wirkung, egal ob der Ausgangspunkt null oder fünf Prozent ist. Die Tatsache, dass die Zinsen so lange so niedrig waren und dann stark angehoben wurden, ist der springende Punkt, wenn es darum geht, wie viel die Kreditnehmer zusätzlich zahlen müssen.

Der Anstieg der Zinserwartungen seit Anfang August hat die Renditen auf der gesamten Kurve nach oben getrieben. Das hat interessante Möglichkeiten geschaffen. Betrachtet man den Bank of America/ICE-Index für drei- bis fünfjährige US-Treasuries, so liegt die Rendite jetzt bei 3,4 Prozent und der Durchschnittspreis der im Index enthaltenen Anleihen bei 93,3 Prozent. Obwohl wir uns kurzfristig Sorgen um die Märkte machen, gehen wir nicht davon aus, dass der Juli der letzte Monat mit positiven Renditen bei festverzinslichen Wertpapieren in diesem Jahr war. Man kann defensiv aufgestellt sein und trotzdem eine positive Rendite erzielen.

Zurückhaltung bei britischen Gilts

Die oberste Priorität ist die Bewältigung der Krise der Lebenshaltungskosten. Es gibt keine einfachen Lösungen und vermutlich wird dies das soziale Gefüge in Großbritannien noch einige Zeit belasten. Der Anstieg der Gilt-Renditen ist offenbar auf die Befürchtung zurückzuführen, dass die Inflationszahlen in Folge der nächsten beiden Anpassungen der heimischen Energiepreisobergrenze weiter steigen werden. Entweder erscheint dies verrückt, da ein solcher Angriff auf die Finanzen der privaten Haushalte und der kleinen Unternehmen zwangsläufig zu massiven wirtschaftlichen Belastungen führen wird. Oder die Gilt-Renditen könnten wegen der möglichen fiskalischen Kosten für die Bekämpfung der Auswirkungen der Energiekrise steigen. In jedem Fall scheint noch niemand bereit zu sein, in den Gilt-Markt einzusteigen.

Die Entwicklung des Pfund Sterling zeigt, wie die Märkte Großbritannien einschätzen. Gegenüber dem Dollar hat das Pfund Sterling nie wieder das Niveau erreicht, auf dem es am Tag des Brexit-Referendums im Juni 2016 notierte. Wenn die Märkte schlecht auf die neue Regierung reagieren, ist ein Pfund-Kurs von weniger als einem Dollar nicht auszuschließen. Nachdem das Pfund Sterling 1992 aus dem Wechselkursmechanismus ausgetreten war, fiel es auf handelsgewichteter Basis um 17 Prozent. Danach erholte sich die Wirtschaft und der politische Wandel führte schließlich 1997 zu einer Mitte-Links-Regierung. Seit 2015 hat der handelsgewichtete Index 18 Prozent verloren – wir würden nicht gegen einen politischen Machtwechsel 2024 wetten.