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Die Rentenpapiere sind zurück

Printausgabe | Dezember 2022
Es ist noch nicht ausgemacht, ob Inflation und Leitzinsen weiter steigen werden. Doch so viel steht fest: Mit Anleihen lassen sich wieder nennenswerte Erträge erzielen. Dabei schauen Bondexperten bis in die Emerging Markets, gehen aber sehr differenziert vor.
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Die jahrelang anhaltende Niedrigzinspolitik hatte Anleihen sukzessive ihrer Ertragskraft beraubt. Folglich entschwanden sie immer mehr aus dem Anlegerblickfeld. Mit dem Ausbruch der Energiekrise und dem Erstarken der Inflation kam es dieses Jahr zu einer massiven Korrektur der Anleihemärkte von zurückblickend teils historischem Ausmaß. Seit Monaten sehen sich nun die US-Notenbank Fed ebenso wie die Europäische Zentralbank (EZB) gezwungen, derart stark die Zinsen zu erhöhen, wie wir es seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben. Die Folge: kräftig steigende Renditen und fallende Kurse.

Der Mechanismus dahinter ist Anleihe-Investoren bekannt: Zinserhöhungen treiben die Renditen an den Anleihe- oder Rentenmärkten nach oben, während gleichzeitig die Kurse laufender Anleihen fallen. Im Vergleich zu neu aufgelegten Rentenpapieren verlieren sie an Attraktivität und damit an Wert, sofern sie vor ihrem Fälligkeitstermin verkauft werden. Denn am Ende der Laufzeit erhalten Anleger zumindest bei soliden Bonds den Nennwert ihres Zinspapiers, zu dem es ausgegeben wurde, zu 100 Prozent zurück. Für Anleger, die (wieder) in diese Assetklasse einsteigen wollen, stellen sich damit zwei zentrale Fragen: Wie wird sich die Inflation weiterentwickeln und wie werden die Notenbanken darauf reagieren? FONDS exklusiv fragte bei drei ausgewiesenen Anleihe-Experten nach.

„Die Rendite zehnjähriger US-Bonds ist von 1,6 Prozent zu Jahresbeginn auf vier Prozent Ende Oktober gestiegen, während die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe im gleichen Zeitraum aus dem negativen Bereich auf über zwei Prozent kletterte“, beschreibt Vivek Bommi jüngste Entwicklungen an den Anleihemärkten. Der Head of European Fixed Income bei AllianceBernstein hält es zwar für wahrscheinlich, dass die Fed und die EZB zumindest im ersten Quartal 2023 weitere Zinserhöhungen vornehmen werden. Beim Blick auf das lange Ende der Zinsstrukturkurve, bei der die zu erwartenden Zinsen bei unterschiedlichen Laufzeiten verglichen werden, zeige sich aber: Solche Zinserhöhungen, eine gewisse Normalisierung der Inflation und ein langsameres Wachstum seien bereits eingepreist. Deshalb erwartet man, dass die Renditen der Zehnjährigen im Jahr 2023 in einer Spanne gehandelt werden, die um ihr derzeitiges Niveau herum liegt. Bommi betont: „Wir gehen zwar davon aus, dass die Volatilität der Zinsen auch 2023 hoch bleiben wird, aber wir denken, dass der größte Teil der Kurskorrektur bei Anleihen aus den USA und Europa hinter uns liegt.“

Geringere Zinsanstiege in sicht

Gene Frieda, Executive Vice President und globaler Stratege bei Pimco, rechnet damit, dass die US-Notenbank ihren Leitzins auf eine Spanne von 4,5 bis fünf Prozent anheben und dann eine Pause einlegen wird, um die Auswirkungen ihrer Straffung auf die Wirtschaft zu bewerten. Seitens der EZB geht Frieda bis zum Jahresende davon aus, dass sich das Tempo von Zinserhöhungen nach Erreichen der Zwei-Prozent-Marke verlangsamen wird. „Hinsichtlich der aktuellen Informationen, der großen Ungewissheit in Bezug auf die Inflationsdynamik und im Vergleich zu anderen wichtigen Ländern erscheint der derzeit am Markt eingepreiste Höchstwert von drei Prozent angemessen“, ergänzt der Stratege und betont: „Angesichts dieser Preisgestaltung ist der Anleihemarkt für geduldige Anleger recht attraktiv.“ Bei Goldman Sachs Asset Management geht man davon aus, dass im ersten Quartal Spitzen- oder Endraten an der Zinsfront erreicht werden können. „Da die zügige Neubewertung der Zinssätze als Reaktion auf die rasche Straffung der Geldpolitik weitgehend hinter uns liegt, glauben wir, dass der Anleihemarkt attraktive Gelegenheiten für Anleger bietet“, sagt Gurpreet Gill, Macro Strategist Global Fixed Income. Ergänzend präzisiert der Pimco-Stratege: „Anleger können nun bei einigen qualitativ hochwertigeren festverzinslichen Anleihen Renditen von über sechs Prozent erzielen.“

Bekanntlich verfügt aber niemand über eine Glaskugel. Somit könnte sich die Inflation als hartnäckig erweisen und dazu führen, dass die Notenbanken ihre restriktive Geldpolitik länger als erwartet fortsetzen. Zudem weisen mittelfristige Inflationstreiber wie die demografische Alterung, die Dekarbonisierung und Destabilisierung in der Geopolitik auf eine höhere wirtschaftliche Volatilität hin, meint Gill und sieht in einem derart unsicheren makroökonomischen Umfeld aktiv gemanagte Fonds im Vorteil: „Wir glauben, dass die Risikoprämien bei Finanzanlagen höher sind, wodurch der Wert einer aktiven Verwaltung weiter gestärkt wird.“ Beispielsweise könnte nach Einschätzung von Goldman Sachs ein aktiver Manager das Engagement an zyklische Marktsegmente anpassen. Besonders interessant seien dabei derzeit qualitativ hochwertigere und weniger wachstumsabhängige Sektoren wie Investment-Grade-Unternehmensanleihen und Mortgage Backed Securities (MBS). Ähnlich sehen das die beiden anderen Marktkenner. Nach Einschätzung des European-Fixed-Income-Chefs von AB könnten die aktiven Anleihefonds-Manager in der Lage sein, negative Auswirkungen einer hartnäckigen Inflation und einer „harten Landung“ der US-Konjunktur abzumildern, da sie nicht oder weniger an einer Benchmark kleben und gezielt Positionen einnehmen können. Zudem verweist Frieda insbesondere auf die höhere Flexibilität bei der Diversifizierung des Portfolios und beim Management des Liquiditätsrisikos in bestimmten Segmenten der Kreditmärkte und der Emerging Markets, auf denen die Finanzstabilität durch ein Zusammentreffen von straffer Geldpolitik und Wachstumsrezession bedroht sein könnte.

Dollar-Stärke hält weiter an

Neben diesen Unsicherheiten gibt es noch ein weiteres Risiko, mit dem sich Euro-Anleger auseinandersetzen müssen: der amerikanische Greenback. So müssten sie bei Investments in Anleihefonds, die auf US-Dollar laufen, aufgrund des Wechselkurses erhebliche Wertverluste hinnehmen, wenn der momentan starke US-Dollar „abschmieren“ würde. Doch wie realistisch ist das? Der Dollar hat als „sicherer Hafen“ auch eine globale Funktion. Dies bedeutet, so die Makro-Strategin von Goldman Sachs, dass er tendenziell aufwertet, wenn sich das globale Wachstum verlangsamt und die Risikostimmung schwächer wird, und bei umgekehrter Entwicklung entsprechend abwertet. Für Gill gibt es daher zwei wichtige Entwicklungen, die den Anstieg des Dollars kurzfristig aufhalten könnten: „Erstens eine Pause im geldpolitischen Straffungszyklus der Fed oder sogar ein Schwenk in Richtung Lockerung. Zweitens eine Verbesserung des globalen im Vergleich zum US-Wachstum“, sagt sie und fügt sogleich hinzu: „Kurzfristig halten wir die Aussichten für beide Entwicklungen für begrenzt.“

„Der US-Dollar ist im historischen Vergleich überbewertet, aber aus gutem Grund“, sagt der Pimco-Experte und fügt hinzu: „Irgendwann wird es Gelegenheiten geben, den Dollar negativer zu bewerten, aber so weit sind wir noch nicht.“ Nach Erfahrungen des Strategen enden Dollar-Aufwertungszyklen in der Regel erst dann, wenn die Fed mit Zinssenkungen begonnen hat und die Wirtschaft kurz vor einem Tiefpunkt steht. Dieser Zyklus könnte eingeschränkter sein, wenn sich Pimcos Basisszenario einer flachen, aber überdurchschnittlich langen Rezession bewahrheitet.

In den Rezessionserwartungen liegt auch ein Grund für die teils vorsichtige Haltung bei Corporate Bonds, da die Risiken einer härteren Landung überwiegen. „Wir tendieren daher zu Unternehmensanleihen höherer Qualität und insbesondere zu besicherten Schuldtiteln, die relativ unempfindlich gegenüber Zinsschwankungen sind“, sagt Frieda. Nach den jüngsten Kursverlusten sind die Bewertungen bei Corporate Bonds aus Sicht von AllianceBernstein definitiv attraktiver geworden. Denn sie würden ein sich verschlechterndes Konjunkturklima widerspiegeln, auch wenn eine harte Landung in den USA oder in Europa derzeit noch nicht eingepreist seien. Dort wie bei Goldman Sachs bewertet man die Fundamentaldaten wie z. B. Nettoverschuldung und Refinanzierungsbedarf vieler Investment-Grade- und Hochzinsemittenten sowohl in den USA als auch in Europa als solide. Bommi erwartet allerdings in den nächsten Quartalen eine gewisse Verschlechterung. „Im breiten Unternehmenssektor zielen wir bei Neukäufen auf Papiere höherer Bonität in defensiven Sektoren ab, die besser gegen weitreichende Volatilität abgesichert sein dürften“, sagt der Head of European Fixed Income und ergänzt, dass man zyklischere Branchen wie Luxuskonsum und Industrie meidet. Zudem erscheint Gill der europäische Investment-Grade-Markt angesichts seiner niedrigeren durchschnittlichen Laufzeit anfälliger als der US-Markt.

Schwellenländer bieten zusätzliches Renditepotenzial

Den Daumen heben die Marktkenner auch für festverzinsliche Schwellenländeranleihen, die als „strukturelle Quelle der Portfoliodiversifikation Chancen eröffnen“, wie es der Executive Vice President von Pimco formuliert. In Anbetracht der volkswirtschaftlichen Herausforderungen und geopolitischen Probleme ist AllianceBernstein hier allerdings vorsichtiger geworden. Deren Head of European Fixed Income empfiehlt daher eine reduzierte Allokation in Schwellenländer-Staatsanleihen und ein stark diversifiziertes Engagement über mehrere Länder hinweg. Frieda konkretisiert: „Wir bevorzugen Unternehmen, die gut positioniert sind, um das derzeitige Umfeld zu überstehen“ und meint z. B. Rohstoffexporteure und Gesellschaften, deren Einnahmen an den US-Dollar gebunden sind. Bei Goldman Sachs stößt man in dasselbe Horn: „Im derzeitigen Umfeld glauben wir, dass Unternehmensanleihen aus Schwellenländern ein Lichtblick im Anlageuniversum Emerging Markets sind“, sagt Gill. Die Makro-Strategin beziffert den Markt als fast doppelt so groß wie jenen für US-Hochzinsanleihen und externe Staatsanleihen aus den Schwellenländern sowie mehr als viermal so groß wie den europäischen Markt für Hochzinsanleihen. Das werde von globalen Anlegern jedoch zu wenig honoriert, weshalb Unternehmensanleihen aus den Emerging Markets aus ihrer Sicht eine strukturelle Position in der Allokation von Unternehmensanleihen oder Schwellenländer-Anleihen verdienten. „Der Sektor bietet attraktive Renditen, und Unternehmen aus den Emerging Markets weisen tendenziell gesunde Fundamentaldaten auf, mit geringerer Verschuldung im Vergleich zu Konkurrenten aus Industrieländern.“ Solide Gesamtrenditen in den letzten zehn Jahren würden diese Einschätzung untermauern.

Trotz aller Unwägbarkeiten ist damit klar: Anleihen eröffnen wieder Ertragschancen. Einerseits können sie wieder das „Material“ für ein solides Portfoliofundament liefern, andererseits zur besseren Diversifikation desselben beitragen – und dies in einem Maße, wie es in den zurückliegenden mehr als zehn Jahren nicht möglich war.