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„Die zweite Halbzeit planen“

April 2024
Für Konsumenten ist es schwer einzuschätzen, wie groß die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben im Ruhestand sein wird, meint Christian Nuschele, Head of Distribution & Marketing bei Standard Life. Deshalb gehört eine professionelle Ruhestandsplanung rechtzeitig auf die Agenda – und eröffnet für Berater großes Potenzial, wie Nuschele im Interview erläutert.
Standard Life
Christian NUSCHELE, Standard Life

FONDS exklusiv: Zwei von drei Österreichern erwarten eine große finanzielle Lücke im Ruhestand. Das ergab eine von Ihnen beauftragte Studie. Sind die Einschätzungen nach Ihren Erfahrungen realistisch?
Christian Nuschele: Die Umfrageergebnisse zeigen vor allem die große Unsicherheit der Konsumenten. Sie rechnen mit geringeren Einnahmen im Ruhestand und gleichzeitig aber auch mit steigenden Kosten. Wie dies konkret aussehen wird und was getan werden muss, um die Lücke zu schließen, das können Konsumenten aber nur sehr schwer einschätzen. Daher ist eine professionelle Planung der Pensionsphase enorm wichtig. 

Wie lässt sich mit dem Instrument der Ruhestandsplanung rechtzeitig gegensteuern?
C. N.:
Zunächst einmal ist es wichtig, möglichst früh mit dem Vermögensaufbau zu beginnen, um ausreichende Mittel zur Verfügung zu haben. Mindestens genauso wichtig ist es dann aber, sich rechtzeitig über die Verwendung des angesparten Vermögens in der Ruhestandsphase Gedanken zu machen. Dazu gehört auch, sich ein Bild über die laufenden Einnahmen und Ausgaben im Alter zu machen. Damit sollte man nicht erst kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand beginnen. Mitte 50 ist aus meiner Sicht ein sehr gutes Alter, sich mit der Ruhestandsplanung zu beschäftigen.

Die Ruhestandsplanung setzt sozusagen auf der klassischen Altersvorsorge auf, richtig?
C. N.: Richtig. Es ist ein wenig mit dem Fußball zu vergleichen. Die klassische Altersvorsorge ist die erste Halbzeit und die Ruhestandsplanung die zweite Halbzeit. Der große Unterschied ist, dass man nicht absehen kann, wie lange die zweite Halbzeit dauern wird. Aufgrund des demografischen Wandels wird die Phase des Ruhestands immer länger – und dafür müssen die finanziellen Mittel ausreichen. Eine wichtige Aufgabe der Ruhestandsplanung ist es, zu verhindern, dass noch Leben da ist, aber kein Geld mehr. 

Welche Möglichkeiten eröffnen sich Personen, die bald ihren 60. Geburtstag feiern?
C. N.: In diesem Alter ist häufig bereits Vermögen angespart worden. Zusätzlich gibt es Auszahlungen aus einer Abfertigung, Erbschaften oder ausgelaufenen Lebensversicherungen,
beziehungsweise stehen Versicher-ungsverträge kurz vor Ablauf. Es gilt sich über das Entsparen, also die Verwendung des Vermögens,
Gedanken zu machen. Hier würde ich empfehlen, einen Teil des Vermögens zu verrenten, um mit den laufenden Rentenzahlungen die laufenden fixen Ausgaben im Alter zu decken. Das restliche Vermögen würde ich weiterhin renditeorientiert anlegen, denn wir sprechen auch bei diesen Kunden noch von einem Anlagehorizont von 20 oder 30 Jahren. Der Abschluss eines Versicherungsproduktes kann auch in diesem Alter steuerlich noch sehr attraktiv sein.

Die Ruhestandsplanung ist hierzulande wenig bekannt. Wie viel Potenzial hat das Beratungsfeld aus Ihrer Sicht?
C. N.: Die Ruhestandsplanung hat ein sehr großes Potenzial. Wir spüren den demografischen Wandel immer deutlicher. Die über 50-Jährigen stellen bereits jetzt die größte Bevölkerungsgruppe. Genau in diesem Alter sollte man sich intensiv mit der Ruhestandsplanung beschäftigen und Kunden brauchen bei diesem komplexen Thema dringend unabhängige Beratung. Dazu kommt, dass sie laut Statistiken auch über ein vergleichsweise hohes Vermögen verfügen. Diese Kombination macht das Thema Ruhestandsplanung so attraktiv.

Wie können Berater das Thema für sich erschließen?
C. N.: Ich denke, dass es eher eine psychologische Frage ist. Häufig scheint es der Respekt vor einem neuen, wenig bekannten Thema zu sein. Ich denke, es gilt einfach, den ersten Schritt zu gehen und sich mit der Ruhestandsplanung zu beschäftigen. Dies wird sich lohnen. Die Ruhestandsplanung ist eines der großen Zukunftsthemen.