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Energieversorgung als Herausforderung

März 2024
Deutschlands Energieversorgung wird zur Dauerbelastung für den Standort Deutschland, mahnt Jan Viebig, ODDO BHF SE, in seinem aktuellen Kommentar.
ODDO BHF SE
Jan Viebig, ODDO BHF SE

Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE beschreibt in seinem aktuellen CIO View, warum der Zustand der Stromversorgung zu einem Standortrisiko für Unternehmen in Deutschland geworden ist und welche Branchen er aus diesem Grund derzeit meidet.

„Zu teuer, zu störanfällig, zu ineffizient – die Kritik am Zustand der Stromversorgung reißt nicht ab. Nun reiht sich auch der Bundesrechnungshof in die Reihe jener Stimmen ein, die vor dem schlechten Zustand des Stromnetzes warnen.

Zu einem besonderen Problem für die Wirtschaft ist die Kombination aus nachlassender Versorgungssicherheit und einem gleichzeitigen Anstieg der Strompreise geworden. Deutschland liegt international in der Spitzengruppe, wenn es um Strompreise geht. Einer Analyse des Verbands der bayerischen Wirtschaft in Zusammenarbeit mit dem Prognos-Institut vom Oktober 2023 zufolge lag der Industriestrompreis in den USA und China bei jeweils 8,4 Cent pro kWh, in Frankreich bei 11,3 Cent, in Deutschland dagegen bei 20,3 Cent.

Aufschlussreich ist auch eine aktuelle Analyse der Stromkosten des Instituts der deutschen Wirtschaft, in der die Stromkosten beispielhafter Unternehmen aus vier ausgewählten Branchen betrachtet und international verglichen werden. Demzufolge lagen die Stromkosten im für Deutschland wichtigen Fahrzeugbau bei 19 Cent pro kWh, in Spanien bei 13 Cent, in den USA bei 7 Cent und in China bei 9 Cent pro kWh. In anderen (energieintensiven) Branchen sind die Kosten niedriger, klaffen aber ähnlich weit auseinander wie im Fahrzeugbau.

Das Angebot an Strom wird möglicherweise zu knapp – vor allem zu bestimmten Zeiten droht er nicht mehr immer in ausreichender Menge dorthin zu fließen, wo er benötigt wird. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach Strom steigen. Dies ist zum Teil politisch gewollt, beispielsweise durch die Förderung von E-Mobilität und Wärmepumpen. Zum Teil ist dies wirtschaftlich bedingt, etwa durch die Digitalisierung, die verstärkte Nutzung von Künstlicher Intelligenz und die Notwendigkeit, weitere Rechenzentren zu bauen.

Die Wirtschaftsverbände schlagen Alarm und sehen die Gefahr, dass energieintensive Unternehmen den Standort Deutschland verlassen. Viele Branchen sind ja schon in den vergangenen Jahrzehnten nicht zuletzt wegen der hohen Energiekosten abgewandert: die Verarbeitung von Stahl, Eisen und Aluminium beispielsweise. Auch haben weitere Unternehmen angekündigt, künftig im Ausland zu investieren, wo sie die Versorgung mit Energie zuverlässiger und kostengünstiger gesichert sehen. Eine Umfrage der DIHK im Sommer 2023 kam zum Ergebnis, dass fast ein Drittel der deutschen Industrieunternehmen die Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland oder die Einschränkung der Produktion im Inland plant oder schon realisiert. Dies sei eine Verdopplung gegenüber einer Umfrage ein Jahr zuvor.

Nun lässt sich die Standortentscheidung eines Unternehmens nie auf einen isolierten Faktor reduzieren. Die Bürokratie in Deutschland, die Nähe zu wichtigen Kunden im Ausland, die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Fachkräfte – auch Faktoren wie diese fließen in die Überlegungen ein. Doch eine effiziente Stromversorgung zu günstigen Preisen zählt zu jenen Standortfaktoren, die Politiker gestalten können. Und in diesem Punkt fällt Deutschland im internationalen Wettbewerb zurück.

Dies führt dazu, dass wir als Investoren dieses Standortrisiko verstärkt in unsere Investmentüberlegungen einbeziehen. Wir meiden Unternehmen, die energieintensiv sind und auf eine gute Stromversorgung am Standort Deutschland angewiesen sind. Das sind zum einen die deutschen Energieversorger selbst und zum anderen Unternehmen aus Branchen, die einen hohen Energieverbrauch haben, beispielsweise die Grundstoffchemie, die Papierverarbeitung und damit viele Verpackungshersteller, aber auch metallverarbeitende Industrien. Glücklicherweise finden sich an den Aktienmärkten viele andere Unternehmen, die bei angemessener Bewertung eine attraktive Eigenkapitalrendite und ein überzeugendes Geschäftsmodell bieten.“