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Vermögensschutz im Fokus

August 2023
Auf die aktuelle Inflationsdynamik und ihre Folgen für die Geldanlage geht Thomas Kößler, Investment Management & Strategy – Bonds bei der Schoellerbank, ein.
Schoellerbank
Thomas Kößler, Schoellerbank

Seit mehr als einem Jahr dominiert die hohe Inflation den öffentlichen Diskurs, betont Thomas Kößler, Investment Management & Strategy – Bonds bei der Schoellerbank, in seinem Marktkommentar. Noch im Oktober des Vorjahres stöhnte man im Euroraum unter einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 10,6 Prozent. Seither hat sich die Inflationsrate auf 5,5 Prozent beinahe halbiert. Die wichtigsten Treiber der enormen Inflationsdynamik verblassen zusehends. Viele Konsumgüter verteuerten sich angesichts massiver Lieferengpässe bei gleichzeitig hoher Nachfrage. Zusätzlich trieb der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Öl- und Gaspreise in die Höhe. Die Energiepreise sind zur Freude der Verbraucher in den letzten Monaten wieder deutlich gesunken und sorgen damit für Entlastung. Auch die Lieferkettenproblematik durch Chinas COVID-Politik hat sich deutlich normalisiert.

PING-PONG-INFLATION VERMEIDEN

Die Fed und die EZB möchten die Gefahren einer Pingpong-Inflation tunlichst vermeiden und stellen zumindest eine weitere bzw. maximal zwei Zinserhöhungen in Aussicht. Doch damit sollte dann auch Schluss sein – zu hoch ist die Gefahr, die Realwirtschaft in eine schwerwiegende Rezession zu treiben.

In Österreich wird aktuell verwundert auf den positiven Inflationstrend in anderen Ländern der Eurozone geblickt. Hierzulande hinkt man dieser Entwicklung hinterher. Nach einer Schnellschätzung der Statistik Austria hat sich die Inflation in Österreich nur sehr geringfügig auf 8 Prozent verringert. Verglichen mit der durchschnittlichen Teuerungsrate von 5,5 Prozent in der Eurozone ist der Unterschied erstaunlich groß. Die Gründe für den negativen Trend in Österreich sind vielfältiger Natur und werden kontrovers diskutiert. Dennoch lassen sich zweifelsfrei einige österreichische Eigenheiten identifizieren, die höhere Inflationsraten befeuern:

Die Preise im Dienstleistungssektor – insbesondere in der Gastronomie – sind in Österreich deutlich stärker gestiegen als im Euroraum. Dazu kommt verschärfend der Umstand, dass neben den höheren Preisen auch die Gewichtungen für Dienstleistungen im österreichischen Warenkorb höher sind. Der stark betroffene Sektor des Tourismus etwa ist in Österreich mit 11 Prozent im Warenkorb vertreten – in Deutschland hingegen nur mit 4 Prozent.

FAKTOR ENERGIE

Eine bedeutende Mitverantwortung für die höhere Inflation in Österreich haben die Energiekosten. In vielen Ländern wurden direkte Preiseingriffe vorgenommen, um die stark steigenden Energiepreise für die Haushalte zu dämpfen. Die staatlichen Eingriffe sind jedoch sehr teure Maßnahmen, da die Differenzen zum Marktpreis von den Staaten übernommen werden. Längerfristig belasten solche Preisgrenzen die Budgetsituation in diesen Ländern. Auch dem Vorwurf eines Gießkannenprinzips müssen sich Länder wie Spanien oder Frankreich stellen, da diese Preisgrenzen für alle Einkommens- und Vermögensschichten gelten.

Zudem haben viele österreichische Verbraucher:innen Energieversorgungsverträge mit längeren Bindungsfristen vereinbart. Der Rückgang der Großhandelspreise kommt in diesen Haushalten deshalb verspätet an. Auch geringe Wechselraten zwischen Versorgern und mangelnder Wettbewerb befeuern die Problematik hoher Energiepreisebelastungen.

Selbst wenn in Österreich auf direkte staatliche Preiseingriffe verzichtet wurde, stellt sich die Frage nach der Treffsicherheit der gesetzten Maßnahmen. Eine wichtige Rolle bei der Inflationsdynamik spielen hierzulande die üppigen Staatszuschüsse, die in den letzten Jahren rekordverdächtig ausgeschüttet wurden. Bereits während der Corona-Pandemie wurden vom Staat zur Krisenbekämpfung über 40 Milliarden Euro für Ausfallsbonus, Garantien, Umsatzersatz, Corona-Kurzarbeit etc. aufgewendet. Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat damit kein anderes Land in der Europäischen Union so viel Geld für Corona-Hilfen ausgegeben.

Zudem wurden auch im Zuge der Energiekrise großzügige Anti-Teuerungsmaßnahmen umgesetzt. Vor allem die undifferenzierte Umsetzung stößt auf Kritik. Großzügige Hilfen ohne Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Notwendigkeit für den jeweilige:n Empfänger heizen den Konsum zusätzlich an und wirken damit preistreibend. Die Hilfen wirken für Bürger schlussendlich nachteilig. Dazu kommt, dass viele Staatshilfen gerade in unteren Einkommensschichten eins zu eins in den Konsum gesteckt werden mussten und so einmal mehr die Preise hochtrieben.

HÖHERE LOHNABSCHLÜSSE

Die Tariflöhne liegen im Mai 2023 um knapp 8 Prozent höher als noch im Mai 2022 und damit deutlich über dem EU-Schnitt. Eine Lohn-Preis-Spirale wie in den 1970er-Jahren, als hohe Lohnabschlüsse die Preise immer weiter nach oben trieben, wird derzeit zwar nicht erwartet, dennoch ist die Gefahr nicht zu unterschätzen. Viele Studien zeigen jedoch, dass die meisten europäischen Reallöhne trotz der hohen Lohnsteigerungen bisher gesunken sind – die gestiegenen Nominallöhne konnten die gestiegenen Preise also noch nicht eins zu eins kompensieren.

Das Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) plädiert dafür, den BIP-Deflator (Quotient aus nomineller und realer Wirtschaftsleistung) anstatt des Verbraucherpreisindex als Inflationsmaß heranzuziehen. Während der BIP-Deflator alle derzeit in Österreich produzierten Waren und Dienstleistungen berücksichtigt, gewichtet der VPI die Preise mit einem festen Warenkorb von Waren und Dienstleistungen – also auch Güter, die im Ausland produziert und hier konsumiert werden. In normalen Jahren besteht kaum ein Unterschied, doch in der jüngsten Krise sind die Preise für importierte Güter wesentlich stärker angestiegen als jene für inländische. Vor allem die importierten Öl- und Gasvorräte aus dem Ausland verzeichneten die höchsten Preissprünge. Das reale BIP lässt demnach die enormen Preise, die österreichische Unternehmen an ausländische Lieferanten bezahlen müssen, unberücksichtigt. Das WIFO bezeichnet den wirtschaftlichen Kuchen, den sich Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen aufteilen, als kleiner als angenommen.

STEIGENDE GEWINNMARGEN

Steigende Gewinnmargen sind natürlich kein österreichisches Phänomen, sollten in einer Analyse der hohen Inflationsdynamik aber nicht fehlen. Im Zuge der gestiegenen Inputkosten sind viele Unternehmen in den Verdacht geraten, die Preise über Gebühr zu erhöhen und damit die Inflationsdynamik anzuheizen. Dies mag in einzelnen Branchen womöglich der Fall sein – ob steigende Gewinnmargen jedoch einen Großteil der Inflation erklären, ist fraglich.

Eine Studie der EZB belegt, dass die Gewinnmarge europäischer Konsumgüterhersteller um ein Viertel höher liegt als 2019, also vor Ausbruch der Corona-Pandemie bzw. des Ukraine-Krieges. Auch der Internationale Währungsfonds kommt in einer Untersuchung zum selben Schluss. Steigende Unternehmensgewinne seien demnach für fast die Hälfte des Anstiegs der Inflation in Europa der letzten zwei Jahre verantwortlich.

Zu einem etwas anderen Ergebnis kommt eine Untersuchung der Rohertragsmargen von deutschen börsennotierten Unternehmen aus den Geschäftsberichten 2022. Die Rohertragsmarge – oft auch als Handelsspanne oder Bruttomarge bezeichnet – sagt aus, welcher Anteil des Umsatzes nach Abzug der Herstellungskosten verhältnismäßig übrigbleibt. Von den 32 in der Produktion tätigen DAX-Konzernen konnten 2022 lediglich sechs Unternehmen ihre Rohertragsmarge steigern. Dass viele Unternehmen ihren Gewinn deutlich steigern konnten, liegt in den meisten Fällen an einer kräftigen Umsatzsteigerung. Höhere Gewinne bei vielen Unternehmen stehen also nicht zwingend in einem kausalen Zusammenhang mit höheren Margen. Der Gewinn kann selbst bei konstanter oder sogar fallender Bruttomarge durchaus durch höhere Umsätze gesteigert werden.

Bei Betrachtung der Inflationszahlen in der gesamten EU ist festzustellen, dass die Entwicklung sehr heterogen ist. Entscheidend für die Inflationsdynamik sind Faktoren wie die geografische Nähe und Abhängigkeit von russischer Energieversorgung, das Ausmaß an staatlichen Eingriffen zur Senkung von Preisen sowie die Stärke der jeweiligen Währung.

SCHLUSSLICHT BALTISCHE STAATEN

Innerhalb der Eurozone bilden die baltischen Staaten mit zweistelligen Inflationsraten das Schlusslicht. Die Erklärung liegt im Konsumverhalten der Haushalte. Die Ausgaben für besonders betroffene Produkte wie Energie- und Lebensmittel machen einen wesentlich größeren Anteil aus. Bei vergleichsweise niedrigeren Einkommen belastet die Teuerung überproportional und nagt an der wirtschaftlichen Substanz vieler Menschen.

In Ungarn wiederum weisen die jüngsten Zahlen hingegen eine noch viel höhere Inflation von gut 20 Prozent aus. Die staatlichen Transferzahlungen an die Bevölkerung haben sich dabei als Bumerang erwiesen. Die daraus resultierende hohe Nachfrage hat die Preise weiter in die Höhe getrieben. Auch der Preisdeckel für acht Grundnahrungsmittel und die Extra-Steuer für große Lebensmittelketten erzielten nicht die gewünschte Wirkung. Händler wälzten die Preiserhöhungen einfach auf andere Produkte um und konterkarierten somit die Maßnahmen.

SONDERFALL SCHWEIZ

Die Schweiz bildet das andere Ende des Spektrums ab. Mit einer aktuellen Inflationsrate von 1,7 Prozent fällt die Teuerung bei den Eidgenossen deutlich moderater aus. Die Gründe sind vielfältiger Natur: Ein Grund liegt in der Stärke des Schweizer Franken, der im Vergleich zu anderen Währungen während der letzten Krisenjahre kontinuierlich aufwertete. Was für die Exportwirtschaft erschwerend wirkt, hilft bei Importen. Der Preisanstieg vieler Produkte, die in Euro oder US-Dollar gehandelt werden, werden durch einen starken Franken abgefedert – so auch bei den Kosten für Energie. Hinzu kommt der international hohe Anteil an administrierten Preisen in der Schweiz. Beinahe 30 Prozent der Preise des Warenkorbes in der Schweiz werden staatlich festgesetzt. Nicht nur beim Strom, sondern auch im öffentlichen Verkehr, im Postwesen, im Gesundheitsbereich oder bei Versicherungen gibt es Preis- und Marktregulierungen.

INFLATION – GEKOMMEN UM ZU BLEIBEN?

Der jüngste Trend gibt Anlass zur Hoffnung. Der Scheitelpunkt der Inflationswelle ist überschritten. Energie als starker Inflationstreiber der Vergangenheit drückt aufgrund des Basiseffekts nunmehr sogar die Inflation. Im Jahresvergleich hat sich Brent-Öl immerhin um mehr als 25 % verbilligt. Endgültig vertrieben ist das Inflationsgespenst aber noch lange nicht. Vor allem von den Lohn- und Gehaltsabschlüssen droht weiterhin Dynamik. Arbeitnehmer können etwas aufatmen. Nach Jahren mit teils empfindlichen Reallohnverlusten sind für heuer und nächstes Jahr wieder moderate Reallohnzuwächse zu erwarten. Die Gewerkschaften werden in den Herbst-Lohnrunden aufgrund der nach wie vor sehr hohen Inflationszahlen wieder kräftige Lohnerhöhungen fordern.

Nach einem makroökonomischen Modell der österreichischen Nationalbank (OeNB) steigt die Inflation bei einer 10-prozentigen Lohnsteigerung um satte 3 Prozent. Des einen Freud, des anderen Leid: Angesichts der erwarteten Wirtschaftsabschwächung kommen höhere Lohnstückkosten für Unternehmen zur Unzeit. Offen bleibt, wie die Sozialpartner in die Herbst-Lohnrunden gehen und auch die längerfristigen Aspekte ihrer Forderungen bei den Verhandlungen berücksichtigen werden. Auch wenn das reale BIP durch hohe Lohnabschlüsse kurzfristig steigt, darf man die verringerte Wettbewerbsfähigkeit durch steigende Arbeitskosten nicht außer Acht lassen.

Finanzmarktteilnehmer zeigen sich jedenfalls optimistisch, dass es keine Zweitrundeneffekte und damit auch kein Wiederaufflammen der Inflation geben wird. An den gehandelten Inflationserwartungen ist abzulesen, dass die durchschnittliche Inflation in der Eurozone bei 2,50 Prozent für die nächsten fünf Jahre erwartet wird.

FOLGEN FÜR ANLEGER

Obwohl der Inflationstrend in die richtige Richtung geht, ist eine Rückkehr zur alten Normalität nicht zu erwarten. Die Notenbanken können angesichts der beginnenden Normalisierung bei der Teuerung nicht wieder in alte Muster – nämlich niedrigere Zinsen – zurückfallen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass die Niedrigzinspolitik auch ihre Schattenseiten hat. Diese Lehren werden nicht so schnell vergessen sein, und das Zinsniveau wird wohl vorerst nicht verringert werden.

Für Anleger ist die Situation komfortabler als in Niedrigzins-Zeiten: Die aktuellen Renditen im Bereich der Anleihen sind so hoch wie seit vielen Jahren nicht mehr und bieten damit zumindest einen Teilschutz vor der Inflation. Dennoch sind für die Zukunft strukturell höhere Inflationsraten ein realistisches Szenario. Der Unternehmenssektor steht vor der Herausforderung, dass die gestiegenen Inputkosten und auch höhere Finanzierungskosten ihre Gewinnmargen drücken.