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Die Inflation bleibt hoch

Oktober 2022
Eric Winograd, Director of Developed Market Economic Research beim Asset Manager Alliance Bernstein, nennt Gründe, weshalb er nicht so rasch mit einer Entspannung rechnet.
Alliance Bernstein
Eric Winograd, Alliance Bernstein

Die Inflation ist nach wie vor hoch und dominiert die Makroprognosen. Weil die Teuerung zu hoch ist, verlangsamt sich das tatsächliche Wachstum und die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Rezession ist stark angestiegen. Die Geldpolitik wird rasch gestrafft und die Finanzmärkte sucht die Volatilität wiederholt heim. Lesen Sie dazu die Analyse von Eric Winograd, Director of Developed Market Economic Research beim Asset Manager Alliance Bernstein (AB):

Die Dominanz der Inflation stellt eine große Herausforderung dar, da kein Inflationsmodell ausreicht, um Anlegern oder politischen Entscheidungsträgern ausreichend Vertrauen in die künftige Preisentwicklung zu geben. Zwar sind grob umrissene Beobachtungen zur Inflation im Zeitverlauf recht zuverlässig, doch gelten sie in der Regel für Jahrzehnte, nicht für Monate. So haben wir beispielsweise jahrelang argumentiert, dass der zunehmende Populismus und die Deglobalisierung die Inflation in Zukunft in die Höhe treiben würden – aber entsprechen die aktuellen Raten unseren Erwartungen? Ganz und gar nicht. Wir gehen weiterhin davon aus, dass die Inflation in Zukunft leicht über dem Niveau vor der Pandemie liegen wird. Wir haben aber den jüngsten massiven Preisanstieg sicher nicht vorhergesehen, und wir würden diesen Anstieg auch nicht in erster Linie dem Populismus oder der Deglobalisierung zuschreiben.

Die Zentralbanker stützen sich auf das Verhältnis zwischen dem Arbeitsmarkt und der Inflation und stellen richtigerweise fest, dass ein engerer Arbeitsmarkt die Inflation im Allgemeinen nach oben treibt. Aber Modelle, die auf dieser Prämisse basieren, haben auch das Ausmaß des aktuellen Preisschocks stark unterschätzt. Im Ergebnis tappen die Zentralbanker – um eine Rede des Vorsitzenden der Federal Reserve, Jerome Powell, zu paraphrasieren – im Dunkeln, und versuchen, bei der Gestaltung der Geldpolitik nicht gegen die Möbel zu stoßen.

Unserer Ansicht nach deutet das kurzfristige Bild darauf hin, dass die Inflation hoch bleiben wird. In den USA wird die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) vor allem aufgrund der steigenden Kosten für das Wohnen die Gesamtinflation übertreffen. Wir sind der Ansicht, dass sich der rund 20-prozentige Anstieg der Immobilienpreise im letzten Jahr noch nicht vollständig in den Inflationsdaten niedergeschlagen hat. Im Zyklus 2007/2008 begann die Inflation für Wohnimmobilien erst 15 Monate nach dem Höchststand der Immobilienpreise zu sinken. Wenn sich diese Erfahrung in diesem Zyklus wiederholt, wird die Inflation für Wohnimmobilien erst im nächsten Sommer zurückgehen – und Wohnen ist die größte Kategorie im Inflationskorb. Auch der Arbeitsmarkt bleibt stark, was die Preise für Dienstleistungen hochhalten dürfte. Wir gehen davon aus, dass der von den Dienstleistungen ausgehende Preisdruck ausreicht, um die Kerninflation insgesamt auf einem hohen Niveau zu halten, auch wenn die Güterpreise im Zuge des Wiederanlaufs der globalen Lieferketten und des Rückgangs der Energiepreise zurückgehen.

In Europa und im Vereinigten Königreich bedeuten die steigenden Erdgaspreise, dass die Inflation für den Rest des Jahres bei fast 10 Prozent liegen wird. Es ist besorgniserregend, dass die europäischen Erdgaspreise kurz vor der Heizperiode im Winter immer noch fast das Zehnfache des Vorkrisenniveaus betragen. Dies ist eindeutig auf die russische Invasion in der Ukraine zurückzuführen, und die überhöhten Preise sind vielleicht nicht das Schlimmste: Wenn die Lieferungen aufgrund des Krieges begrenzt sind, könnten in diesem Winter Energierationierungen notwendig werden. Das würde die europäische Wirtschaft sehr wahrscheinlich in eine scharfe Rezession stürzen und nicht in den von uns erwarteten milderen Abschwung.

Es wird oft gesagt, dass das beste Mittel gegen steigende Preise steigende Preise wären. Die Logik ist, dass steigende Preise über einen längeren Zeitraum den Verbrauchern irgendwann so sehr aufstoßen, dass sie ihre Käufe reduzieren, was die Nachfrage verringert und das System wieder ins Gleichgewicht bringt. Das mag zwar stimmen. Es wäre aber in der Tat ein mutiger Zentralbanker, der sich unter den gegenwärtigen Bedingungen auf dieses Experiment einlassen würde. Selbst wenn dieses Laissez-faire-Konzept funktionieren würde, wäre es sehr wahrscheinlich, dass „irgendwann“ eine unerträglich lange Zeit des Wartens beding würde. Infolgedessen verlassen sich die Zentralbanker nicht darauf, dass sich die hohen Preise von selbst korrigieren, und wir befinden uns inmitten eines sehr aggressiven Zinserhöhungszyklus. Weltweit erhöhen die Entscheidungsträger die Zinssätze um 50, 75 oder sogar 100 Basispunkte und bemühen sich, die Nachfrage ausreichend zu bremsen, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Wir sind der Meinung, dass dieser Prozess noch viel Spielraum hat, und rechnen in den nächsten Monaten mit mindestens weiteren 100 bis 150 Basispunkten an Zinserhöhungen durch die großen Notenbanken.

Die bereits erfolgte geldpolitische Straffung beginnt sich auszuwirken – es gibt Anzeichen für eine weltweite Konjunkturabschwächung. Die Immobilienmärkte kühlen sich angesichts steigender Hypothekenzinsen stark ab und die strengeren finanziellen Bedingungen dämpfen das Wachstum im Allgemeinen. Wir glauben, dass die Wirtschaft noch viel mehr zu leiden haben wird. Es wird den Zentralbanken einfach nicht möglich sein, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, ohne das Wachstum zu verlangsamen und die Arbeitsmärkte zu schwächen. Während die Marktteilnehmer in „normalen“ Zeiten eine Anhebung der Zinssätze durch eine Zentralbank in einer wirtschaftlichen Rezession als politischen Fehler ansehen würden, glauben wir, dass genau das in diesem Umfeld notwendig sein könnte.

Wir erwarten sowohl in der Eurozone als auch im Vereinigten Königreich eine Rezession, wobei das Wachstum über mehrere Quartale hinweg durchweg negativ sein dürfte. Für die USA prognostizieren wir ein Wachstum, das mehrere Quartale lang bei oder nahe Null liegen wird: Sicherlich besser als in Europa, aber in keinem absoluten Sinne gut. Ob dies offiziell als Rezession eingestuft wird oder nicht, ist eher eine semantische als eine inhaltliche Frage – die Aussichten sind düster, egal mit welchen Worten man sie beschreiben möchte.

Dennoch ist es wichtig, unsere Erwartungen in den richtigen Kontext zu stellen. Die Inflation übt zwar einen immensen Druck auf die Weltwirtschaft aus. Wir denken aber, dass auch dies vorübergehen wird. Die Zentralbanker ergreifen die geeigneten Maßnahmen, um die Inflation zu senken. Dieser Prozess wird zwar schmerzhaft, unserer Meinung nach aber letztlich erfolgreich sein. Selbst in den kommenden schwierigen Monaten gibt es Gründe für die Annahme, dass der kommende Abschwung im Vergleich zu früheren Rezessionen gering ausfallen wird. Die Finanzen der privaten Haushalte, die durch die Konjunkturpakete der Pandemiezeit gestärkt wurden, sind robust, die Bilanzen der Unternehmen sind solide und das globale Finanzsystem scheint nicht besonders anfällig für Vermögenspreisblasen zu sein. Das bedeutet, dass wir anstelle eines drastischen Abschwungs eine mildere, schleichende Verlangsamung erwarten, die mehrere Quartale andauert, aber nicht die gleichen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen verursacht wie die letzten beiden Rezessionen.

Was bedeutet das für die Finanzmärkte? Solange die Inflation nicht nachhaltig zurückgeht, sollten die Anleger keine Unterstützung durch die Zentralbanken erwarten. Ganz im Gegenteil: Einer der wichtigsten Wege, auf denen die Geldpolitik auf die Wirtschaft übertragen wird, führt über die Finanzmärkte. Höhere Zinssätze, niedrigere Aktienkurse und höhere Risikoprämien bei Krediten sind leider Teil der Lösung des Inflationsproblems. Ein Großteil der Arbeit ist bereits getan, aber wir halten es dennoch für verfrüht, Entwarnung zu geben. Wir gehen davon aus, dass uns die Marktvolatilität zumindest in den nächsten Monaten noch begleiten wird.