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Weltwirtschaft: Ein Ausblick

Juli 2023
Das Wirtschaftswachstum hat sich auf arbeitsintensive und wenig produktive Bereiche der Wirtschaft beschränkt und treibt Löhne und Inflation in die Höhe, analysiert Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments.
Columbia Threadneedle Investments
Steven Bell, Columbia Threadneedle Investments

Der Dienstleistungssektor hat sich gut entwickelt, die Industrie wird dagegen durch eine schwächere Nachfrage und überschüssige Lagerbestände gebremst, betont Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments. Dies hat dazu geführt, dass das Wachstum in arbeitsintensive und wenig produktive Bereiche der Wirtschaft gedrängt wurde, was wiederum die Beschäftigung, die Löhne und die Inflation in die Höhe trieb.

Um das Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen, müssen die Zentralbanken in den Industrieländern unter Umständen eine Rezession einleiten. Die Währungshüter haben darauf mit sehr raschen Zinserhöhungen reagiert. Allerdings bedeutet ein Start von null Prozent, dass die ersten etwa 2 Prozentpunkte der Erhöhung lediglich bedeuten, dass man den Fuß vom Gaspedal nimmt.

In den USA prognostizieren wir eine leichte Rezession ab Ende des Jahres. Das bedeutet, dass es US-Aktien schwer haben werden, während andere Volkswirtschaften und Vermögensmärkte weniger synchronisiert erscheinen.

Die Intervention der Federal Reserve (Fed) nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank hat das Risiko einer Kreditklemme abgewendet. Dennoch bleiben weiterhin Kreditengpässe, da die Kreditgeber vorsichtiger werden. Es sind bereits zahlreiche geldpolitische Straffungen in Vorbereitung. Wir gehen von zwei weiteren Zinserhöhungen in diesem Jahr aus, wobei im nächsten Jahr mit Zinssenkungen zu rechnen ist.

Dank der Covid-Unterstützungsmaßnahmen konnten US-Verbraucher die Rezession im Jahr 2022 im Alleingang abwehren. Da diese so genannten Sparschweine – „Covid Piggy Banks“, während der Pandemie angesammelte überschüssige Ersparnisse – aufgebraucht sind und die Rückzahlung von Studentenkrediten im September wieder aufgenommen wird, rechnen wir mit dem Beginn einer milden Rezession am Ende des Jahres. Eine milde Rezession dürfte ausreichen, um den Druck vom angespannten Arbeitsmarkt zu nehmen und so die Lohninflation zu mildern, sodass die Inflation weiter in Richtung des Ziels der Fed sinken kann.

EUROPAS SCHWÄCHE VERBLÜFFT

Wir sind verblüfft über die Schwäche der europäischen Wirtschaft. Das Vertrauen der europäischen Verbraucher hat sich von historischen Tiefstständen erholt, die Geldreserven der Europäer sind nach wie vor nicht aufgebraucht, die Erdgaspreise liegen nur noch bei einem Bruchteil ihres Höchststandes und die Reallöhne werden steigen. All dies sollte eine Erholung von der derzeitigen Flaute begünstigen.

Vielleicht schauen wir einfach auf die falschen Dinge. Die Wirtschaftsstatistiken konzentrieren sich auf die leichter zu messenden Sektoren des verarbeitenden Gewerbes und die Anleger schauen auf die Daten der größten Volkswirtschaft, Deutschland. Das verarbeitende Gewerbe war schwächer als die schwerer zu messenden Dienstleistungssektoren, und das deutsche verarbeitende Gewerbe wurde durch die Schließung oder Verlagerung von Unternehmen, die von billigem russischem Erdgas abhängig sind, besonders hart getroffen. Andere Indikatoren, wie beispielsweise der Anstieg des spanischen Einzelhandelsvolumens um 6 % im Jahresvergleich, zeigen ein positiveres Bild.

Wir gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik im Laufe des Jahres weiter straffen wird. Sie wird sich auf das starke Wachstum der Löhne und das Potenzial für eine Beschleunigung der Wirtschaft konzentrieren, wenn die Verbraucherausgaben wieder anziehen.

VEREINIGTE KÖNIGREICH ALS AUSREISSER

Das Vereinigte Königreich ist ein Ausreißer: Hier steigt die Kerninflation, während sie in den USA und im übrigen Europa zurückgeht. Der Anstieg der Löhne und Gehälter hat sich im Zusammenhang mit der Indexanhebung des Mindestlohns beschleunigt, und auch die jährliche Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge hat sich positiv auf die Wirtschaft ausgewirkt.

Festverzinsliche Hypotheken in Verbindung mit anderen Trends auf dem Hypotheken- und Wohnungsmarkt bedeuten, dass der Schmerz steigender Zinsen nicht alle trifft und 80 Prozent der Auswirkungen erst noch kommen werden. Wir rechnen daher mit einem weiteren Rückgang der Immobilienpreise um etwa 10 Prozent, auch wenn sie damit immer noch deutlich über dem Niveau vor der Covid-Krise liegen würden.

Wir haben unsere Inflationsprognose nach oben korrigiert, gehen aber nach wie vor davon aus, dass die Inflation bis Ende des Jahres deutlich auf etwa 4 Prozent zurückgehen wird. Dabei hilft der Wiederanstieg des Pfund Sterling, der die Importpreise senkt. Es wird jedoch wenig Spielraum für Steuersenkungen geben, da die Kosten der Staatsverschuldung durch die steigenden Zinssätze in die Höhe geschnellt sind.

Die Bank of England hat angesichts ihrer jüngsten Misserfolge wenig Vertrauen in ihre Fähigkeit, die künftige Inflation vorherzusagen. Die Alternative, die jüngsten Inflationszahlen als Richtschnur zu verwenden, bedeutet jedoch, dass die Bank of England bei ihrer Geldpolitik mit dem Rückspiegel navigiert.

JAPAN SIEHT ATTRAKTIV AUS

Jede Rezession in den USA ging bisher mit einer Schwäche am Aktienmarkt einher. Während die meisten Experten davon ausgehen, dass das Gewinnwachstum des S&P 500 im nächsten Jahr negativ sein wird, sind wir der Meinung, dass die Prognosen den wahrscheinlichen Gewinnrückgang nicht vollständig widerspiegeln. Daher erwarten wir, dass die Aktien in den USA zu kämpfen haben werden.

Japan erscheint dagegen attraktiv. Japanische Unternehmen konzentrieren sich zunehmend darauf, überschüssige Cash-Bestände an die Investoren zurückzugeben. Jedes Unternehmen, dessen Aktienkurs unter dem Buchwert liegt, muss der Tokioter Börse einen entsprechenden Plan vorlegen, um dieses Problem zu lösen.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Rezession in den USA wahrscheinlich nur mild ausfallen wird und sich die jüngsten Kursgewinne bei US-Aktien auf eine Handvoll Titel konzentriert haben, sehen wir bei den Risikopapieren zahlreiche Wertreserven. Wir gehen davon aus, dass sich der britische Markt im nächsten Jahr erholen wird. Wir erwarten außerdem, dass die Märkte der Schwellenländer widerstandsfähig sein werden, denn sie haben ohne die fragwürdigen Vorteile der Covid-Sparschweine und der quantitativen Lockerung bereits die Zinssätze erhöht und die notwendigen wirtschaftlichen Anpassungen vorgenommen.

Die reale Rendite der 10-jährigen US-Treasury-Inflation-Protected-Securities (TIPS)-Anleihe beträgt 1,5 Prozent. Das ist mehr als das Doppelte des Niveaus vor der Covid-Krise und liegt deutlich über den -1,0 Prozent, die auf dem Höhepunkt der quantitativen Lockerung galten. Wir sind der Meinung, dass dies eine recht attraktive Rendite für die risikoärmste Anlage darstellt. Vor diesem Hintergrund bevorzugen wir weiterhin Staatsanleihen.